Bundesverfassungsgericht, 1 BvR 1704/16
Der Beschwerdeführer bezieht ergänzend Arbeitslosengeld II. Die von ihm erhobene Verfassungsbeschwerde beruht im Wesentlichen auf einer im Internet verbreiteten „Vorlage“ für eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen das Rechtsvereinfachungsgesetz. Mit ihr wendet er sich gegen die gesetzlichen Grundlagen für die Gewährung von Grundsicherung.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig
Es widerspricht zwar nicht der Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde, sich mit Blick auf die Pflicht zur hinreichend substantiierten Begründung der Verfassungsbeschwerde an einer „Vorlage“ für Rechtssatzverfassungsbeschwerden zu orientieren. Jedoch muss auch dann konkret dargelegt werden, inwiefern die Möglichkeit besteht, dass Beschwerdeführende durch die angegriffene Maßnahme in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt sein sollen.
Das Verfassungsgericht hebt außerdem deutlich hervor, dass vor der Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden müssen, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (Grundsatz der Subsidiarität). Daher ist eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann. Die fachgerichtliche Überprüfung ist regelmäßig geboten, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft.
In diesem Fall hätte der Beschwerdeführer zunächst Rechtsschutz durch die Anrufung der Sozialgerichte suchen müssen.
Fazit:
Wollte man mittels einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz vorgehen, dann sollte sich der Beschwerdeführer die Zeit nehmen und dem Bundesgericht konkret darlegen, inwiefern die Möglichkeit besteht, dass er durch die angegriffene Maßnahme in einem Grundrecht unmittelbar und gegenwärtig verletzt sein soll.
über
die Verfassungsbeschwerde
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Die unmittelbar gegen das Neunte Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung – sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26. Juli 2016 (BGBl I S. 1824) gerichtete Verfassungsbeschwerde, die im Wesentlichen auf einer im Internet verbreiteten „Vorlage“ beruht, die das öffentliche Interesse an gesetzgeberischen Entscheidungen und der Kritik an diesen herstellen soll, ist unzulässig.
1. Der Zulässigkeit steht zwar nicht entgegen, sich mit Blick auf die Pflicht zur hinreichend substantiierten Begründung der Verfassungsbeschwerde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG) an einer im Rahmen politischer Diskussionen um ein Gesetz erstellten „Vorlage“ für Rechtssatzverfassungsbeschwerden zu orientieren. Jedoch muss auch dann konkret dargelegt werden, inwiefern die Möglichkeit besteht, dass Beschwerdeführende durch die angegriffene Maßnahme in einem Grundrecht oder grundrechtsgleichen Recht selbst, unmittelbar und gegenwärtig verletzt sein sollen (vgl. BVerfGE 108, 370 <386 f.>; 130, 1 <21>; 131, 66 <79 ff.>). Schon daran fehlt es hier.
2. Die Verfassungsbeschwerde wird dem Grundsatz der Subsidiarität nicht gerecht (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Danach müssen vor Einlegung einer Verfassungsbeschwerde alle zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergriffen werden, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 123, 148 <172>; 134, 242 <285 Rn. 150>; stRspr). Daher ist eine Verfassungsbeschwerde unzulässig, wenn in zumutbarer Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangt werden kann. Dies ist sogar dann zu verlangen, wenn das Gesetz keinen Auslegungs-, Ermessens- oder Beurteilungsspielraum offen lässt, der es den Fachgerichten erlauben würde, die geltend gemachte Grundrechtsverletzung kraft eigener Entscheidungskompetenz zu vermeiden (vgl. BVerfGE 123, 148 <173>). Obwohl dann die fachgerichtliche Prüfung für die Beschwerdeführenden günstigstenfalls dazu führen kann, dass die ihnen nachteilige gesetzliche Regelung gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt wird, ist sie regelmäßig geboten, um zu vermeiden, dass das Bundesverfassungsgericht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft (vgl. BVerfGE 123, 148 <173> m.w.N.; BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Januar 2015 – 1 BvR 931/12 -, www.bverfg.de, Rn. 23). Hier sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass es dem Beschwerdeführer ausnahmsweise unzumutbar sein könnte, Rechtsschutz durch die Anrufung der Sozialgerichte zu erlangen. Ein verlorener Rechtsstreit in der Vergangenheit, auf den der Beschwerdeführer auch nur pauschal verweist, ist kein Grund, die Gerichte nicht in anderer Sache zu einem anderen Zeitpunkt erneut in Anspruch zu nehmen.
3. Soweit mit der Verfassungsbeschwerde beanstandet wird, der Gesetzgeber habe mit dem Neunten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch verfassungsrechtlich gebotene Rechtsänderungen unterlassen, greift der Beschwerdeführer Normen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in unverändert gebliebener Fassung an und wahrt damit nicht die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.